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Die Kerzeninsel
vor der Marienfigur im Dom
lädt dazu ein, ein Gebet
zu sprechen und dabei
ein Licht zu entzünden


 

Wortbrücke zu Septuagesimæ, 13. Februar 2022

Was ist schon gerecht?

Familienfrühstück am Samstagmorgen. Die Croissants werden zu zweit geteilt. Die eine Schwester schneidet, die andere wählt aus. Eltern haben ihre Tricks, um für eine gewisse Gerechtigkeit zu sorgen und den Frieden zu wahren.

Anderswo gibt es genug Ungerechtigkeiten. Der Klassenkamerad bekommt eine bessere Mitarbeitszensur, die Kollegin bekommt das spannendere Projekt, die Nachbarin die höhere Rente. Alle Not kommt vom Vergleichen, sagte Søren Kierkegaard. Besonders da, wo es um Leistung oder Besitz geht, um das, was der andere hat oder kann, wird die Gerechtigkeit angefochten.
Noch schmerzlicher sind aber oft die existenziellen Ungerechtigkeiten. Die Krankheit, die schwer trifft; der Tod im nächsten Freundeskreis, der keine Erklärung findet; die Arbeitslosigkeit, die die Spirale tiefer drehen lässt.

Als Christin schiebe ich diese Ungerechtigkeit nicht auf die Gleichgültigkeit des Schicksals. Ich frage an und klage an:
Gott, warum? Warum jetzt? Warum hier? Und ich weiß doch zugleich: Die einfache Antwort darauf gibt es nicht. Trotzdem rufe ich weiter und bringe vor Gott, was schwer ist.

Auch der biblische Exilant Daniel ruft: „Neige deine Ohren, mein Gott, und höre! Tu deine Augen auf!“ Und stellt dann im Spruch für diese Woche fest: „Wir liegen vor dir mit unserm Gebet und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.“ (Dan 9,18b)

Meine Dankgebete, Bittgebete, Klagegebete und Lobgebete lege ich vor Gott. Vieles bleibt mir ein Rätsel. Aber vom Vertrauen Daniels kann ich mich leiten lassen. Mit ihm übe ich mich darin, mit anderen Augen zu sehen.

Ihre Vikarin Henrike Kant