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Jeremia von Michelangelo
in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan
(1508-1512)

 

Wortbrücke zum 19. Sonntag nach Trinitatis (15.10.2023)

Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen. Jeremia 17, 14 (Wochenspruch für die Woche 15. - 21.10.2023)

Wenige Menschen der Bibel lassen uns so tief in ihr Inneres schauen wie der Prophet Jeremia. Schon seiner Berufung fügt sich der Mann aus Anatot nur widerstrebend. Ich bin zu jung ruft er, aber letztlich kann er doch nicht anders und muss sich fügen. Seine Gefühle, sein innerer Kampf, sein klarer Blick auf die unheilvolle Lage, sein von Gott getrieben werden – all das findet sich im Jeremiabuch. An seinem Auftrag reibt sich Jeremia wund. Seine Predigten, seine Mahnungen, sogar sein Trost stoßen nicht auf Gehör. Wirklichkeitsfremd sei das, was er sagt. Denn das angesagte Unheil lässt auf sich warten und seine Mitmenschen machen den Propheten krank mit ihrer Missachtung, ihrem Spott, ihrer Ironie. Gedemütigt und verletzt ist er, weil niemand dem zuhören will, was zu sagen er sich selbst abringen muss. Er sieht klar das Unheil, aber niemand will auf ihn hören. Wie oft wiederholt sich das, bis heute?

Jeremia ist nicht der souveräne und starke Prophet, wie viele einen Propheten erwarten. Treibt er uns auch Fantasien einer »erfolgreichen« und starken Kirche aus, die allseits anerkannt sein will mit dem, was sie sagt? Gott beruft und begnadigt nicht die Selbstgewissen, sondern die Schwachen und Zweifelnden.

Jeremia lehrt den Mut zum »Dennoch«. Der Prophet spinnt sich nicht ein in seine Verbitterung und Kränkung. In aller Offenheit breitet er seine Ohnmacht vor Gott aus und betet: »Heile du mich Herr, so werde ich heil …« Ich allein vermag es nicht, aber ich vertraue darauf, dass bei dir nichts unmöglich ist.

Wir spüren in unseren unheilvollen Tagen, dass unsre persönlichen Kräfte für die Krisen und das Unheil zu schwach sind, vom Klimanotstand über den Ukrainekrieg bis hin zum unvorstellbaren Terror in Israel. Es ist zu viel nicht heil, in der Welt, in unserem Land, in mir. Jeremias wendet sich an Gott und bittet »Heile du mich, dennoch, trotz allem«. In aller Verzweiflung und im Selbstzweifel lässt sich Jeremia hineinreden von Gott. Er lässt sich nicht abbringen von der Vision der Gegenwart Gotts unter den Menschen, die heil macht, die – so hebräisch wörtlich – »flickt« und »wieder zusammennäht«, was zerrissen ist. So spricht er auch uns aus der Seele.

Beten wir seine Worte mit: für uns Erschöpfte, für unsere polarisierte Gesellschaft, für uns als bange Christenschar, für die krisen- und kriegszerrüttet Weltgemeinschaft.

“Heile du mich Herr, so werde ich heil!”

Eine gesegnete neue Woche mit heilvollen Erfahrungen wünscht Ihnen
Ihr Friedrich Kramer, Erster Domprediger und Landesbischof