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Foto: G. Humbert
„Der Schwebende“, Güstrow

 

Wortbrücke für die Woche vom 27.8. bis 2.9. 2023 – 12. Sonntag nach Trinitatis

Über dieser Woche steht ein Vers aus dem Buch des Jesaja:
Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.

Zum Ende der Woche, am 1. September, begehen wir den Weltfriedenstag.
So recht bekannt ist das gar nicht mehr. Eher wird an den Ökumenischen Schöpfungstag gedacht.
Schöpfungstag: Entstehung von Leben
Beginn des Zweiten Weltkrieges: Zerstörung von Leben, verbrannte Erde. Wie viel Rohr wurde geknickt!

In „unserem Dom“ steht das Mahnmal gegen den Krieg von Ernst Barlach.
Die Gesichtszüge und die Kleidung sprechen vom geknickten Rohr, vom glimmenden Docht, von Schrecken, Tod, verbrannter Erde, vom Krieg als Geißel der Menschheit. Barlach drückt in seinen Figuren viel über Haltung, Gebärden, Antlitz oder den Faltenwurf des Gewandes aus.

Er selbst erinnert:
„Der Mensch in diesen Zonen ist zwar nackt geboren, doch hinterher zieht man ihm etwas an. Das Tier hat sein gewachsenes Fell. Dem Menschen ist die Kleidung gegeben, Gott weiß wohl, wozu.“
Im Dom zu Güstrow wurde 1927 Barlachs großartigstes Gefallenenmal angebracht, eine überlebensgroße, waagerechte Bronzefigur. Der Schwebende.
Diese Gestalt, die mit gekreuzten Armen, geradeaus gerichtetem Antlitz und nach innen gewandtem Blick im freien Raum schwebt, soll kein Engel sein; es fehlen ihr die Fittiche.
Diese Gestalt stellt ein Sinnbild der am Kriege leidenden und zugleich das Leid überwindenden dar. Es ist Mahnmal und Hoffnungszeichen.

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.
Am 1. September 1937, zwei Jahre vor Beginn des zweiten Weltkrieges, schreibt Ernst Barlach einen Brief aus Güstrow an Hans Barlach:
„Zum Arbeiten werde ich auf absehbare Zeit nicht kommen. Ins Ausland gehe ich nicht, im Vaterland muss ich mich wie ein Emigrant fühlen - und zwar schlechter als ein wirklicher, weil alle Wölfe gegen mich und hinter mir heulen. Dabei soll man und muss sich vor Verbitterung und derlei unproduktiven Einstellungen bewahren.“ Beide Kunstwerke verschwanden als entartete Kunst von ihrem Standort.
Beide Kunstwerke können wieder betrachtet werden. Sie mahnen und geben zugleich Hoffnung.
Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.

Gabriele Humbert, Gemeindepädagogin