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Wortbrücke in die Domgemeinde zum 10. Sonntag nach Trinitatis am 13. August 2023

Zukunft braucht Erinnerung

Am Sonntag wird an Bruder Mose in der Predigt gedacht. Es ist der sogenannte Israelsonntag. Mose hält eine Abschiedsrede. Er wird das verheißene Land nicht erreichen. Mose erinnert das Volk wieder und wieder an das, was sie in den vierzig Jahren erfahren haben. An den Auszug aus der Knechtschaft, an den Bundesschluss, an die Gabe der Torah, insbesondere an die Gebote. Wenn man jemandem alles erlaubt, zerstört man ihn oder sie. Ein Spitzensatz in Moses Rede heißt: Bewahre deine Seele gut, dass du nicht vergisst, was deine Augen gesehen haben. Zukunft braucht Erinnerung. Das kann auch die christliche Gemeinde vom Volk Israel lernen. In der Vergangenheit liegt oft der Schlüssel für die Zukunft. Heute reden wir von „Erinnerungskultur“. Wer zukunftsfähig sein will, muss die ganze Geschichte kennen und weitergeben. Wer zukunftsfähig sein will, muss vom Glauben reden, ohne die eigenen Zweifel zu verstecken, aber auch nicht ausweichen, wenn Kinder oder Enkel fragen. Noch einmal Mose: Und du sollst deinen Kindern und Kindeskindern kundtun den Tag, da du vor dem Herrn, deinem Gott, standest am Horeb, als der Herr zu mir sprach.

In mir regt sich immer ein komisches Gefühl, wenn ich Menschen sagen höre: „So, lasst uns jetzt nicht weiter zurückschauen, sondern nach vorne blicken.“ Entweder soll etwas verborgen bleiben oder sie wissen es schlechthin nicht, dass nur das vor Augen stehen kann, was gewesen ist. Niemand weiß, was zum Beispiel am 30. September sein wird.

Im Dom gibt es ein Sandsteinkapitell im Chorumgang, das zeigt, wie Mose mit den beiden Gebotstafeln die Kirche wie eine Arche schützt. Es berührt mich sehr. Man muss es gezeigt bekommen, von selbst entdeckt man es eher nicht. Israel schützt die Kirche. Umgekehrt war es selten so.

Domprediger Jörg Uhle-Wettler