
Francisco de Zurbarán: Agnus Dei (um 1635/40); Madrid, Museo del Prado (gemeinfrei)
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Wortbrücke zum Sonntag Palmarum (13.04.2025)
Ich sehe die Müden im babylonischen Exil vor mir: die Endzeit ist über sie hereingebrochen. Krieg, Hunger, Verschleppung. Sie sind allem, was ihrem Leben Sinn und Freude verlieh, ganz und gar entfremdet. Und sie hören die höhnische Frage ihrer Peiniger: „Wo ist denn nun dein Gott?“ Und dann tritt einer unter die Menschen in ihrem Exil und spricht zu ihnen im Namen Gottes, wie er behauptet. Niemand kennt ihn, keiner weiß seinen Namen. Doch er ist offensichtlich einer von ihnen, denn er spricht aus eigener Erfahrung von ihrer Müdigkeit und ihrem Leid. Er kommt ihnen aber fremd vor, und erst recht fremd sind seine Worte: „Gott ist euch nahe! Versinkt nicht in eurem Elend! Er schafft Neues, wo alles tot scheint.“ „Woher willst du das denn wissen?“, herrschen sie ihn an. Nach seiner Legitimation fragen sie ihn erst, als er eines Tages hinkend zu ihnen tritt, mit zerrissenem Gewand und blutverschmiertem Gesicht. Die Feindesworte halten sie ihm vor und lachen ihn aus. „Gott steht mir bei“, behauptet er dennoch mit fester Stimme und lächelt. „Jeden Morgen ruft er mich ins Leben. Ich soll euch Trost und Hoffnung bringen.“
Am Palmsonntag steht uns die Gestalt des Gottesknechts vor Augen: seine geheimnisvolle Verbundenheit mit Gott zeigt sich im Trösten der Müden und in seinem Leiden mit ihnen. „Legitimiere dich!“, haben sie damals gefordert. Wir hören seine Antwort, von fern kommt sie uns nahe: „Gott selbst setzt mich ins Recht, er, der Neues schafft – gegen allen Augenschein. Ich habe nichts als diesen Auftrag: Trost für euch müde und matten Menschen.“ „Und deine Wunden?“ Auch Spott liegt nahe. Kopfschütteln, Staunen und Hoffen begleiten Jesus, den Friedenskönig, auf seinem Eselchen. Anders als der Gottesknecht wird er nicht verhärten, sondern in Liebe auf den blicken, der ihn verleugnet, und für seine Feinde bitten. Seine Erhöhung ans Kreuz und zu Gott werden wir wahrnehmen. Vorbereitet durch die Botschaft des Gottesknechts werden wir, die müde Gewordenen, auch das Leiden von vertriebenen und entehrten Menschen wahrnehmen und nicht wegblicken.
Im Laufe der Zeit verblasst die Gestalt des Gottesknechts. Doch sein Trost für die Müden ist niemals ganz vergessen worden. Setzt Gott so den Schuldlosen ins Recht? Über den Einzugsweg Jesu nach Jerusalem zu Palmarum wölben sich die Prophetenworte wie ein Bogen und helfen zu verstehen: wer will anklagen oder verdammen? Gott setzt seinen Sohn ins Recht. Und Gott verleiht den Menschen, die den Einzugsweg säumen, diesen „Knechten“ und „Kindern Gottes“, das Recht, in Freimut Hosianna zu rufen – als Jubel und als Bitte aus der Tiefe.
Einen gesegneten Sonntag und eine gute Karwoche, die uns auf das Auferstehungsfest weist,
wünscht Ihnen Ihr Friedrich Kramer, Erster Domprediger und Landesbischof
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