Carl Hildebrand Freiherr von Canstein (1667-1719)
|
Landesbischof Friedrich Kramer
Wortbrücke - 16. Sonntag nach Trinitatis
Der 19. September vor 326 Jahren gilt als Gründungsdatum der Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale. An diesem Tag wurde der Grundstein des Waisenhauses gelegt. Über August Hermann Francke und die nach ihm genannten Stiftungen wäre vieles zu berichten, über den Beginn und dass es immer anders als geplant weiterging mit den pädagogischen Einrichtungen für Waisenmädchen und Schüler, sogar aus England, über das Naturalienkabinett, das die in die Welt ausgesandten Missionare füllten, über die Apotheke und die Hoffmannstropfen oder über Buchhandlung, Buchdruckerei und Buchbinderei. Über die Anfänge schreibt August Herrmann Franke ein Buch, dessen Titel wunderbar sprechend ist: “Die Fußstapffen Des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen GOTTES / Zur Beschämung des Unglaubens / und Stärckung des Glaubens / Durch den Ausführlichen Bericht Vom Wäysen=Hause / Armen=Schulen / und übriger Armen=Verpflegung Zu Glaucha an Halle.”
Zu den Fußstapffen Gottes gehört auch das Projekt, das ab 1710 als Cansteinsches Bibelwerk begonnen wurde. Gemeinsam mit Carl Hildebrand Freiherr von Canstein gründete Francke die erste Bibelanstalt der Welt. Canstein veröffentlichte am 1. März 1710 einen "ohnmaßgeblichen Vorschlag" dazu, "wie Gottes Wort den Armen zur Erbauung um einen geringen Preiss in die Hände zu bringen" sei. Der pietistische Adelige steckte den Großteil seines Vermögens in sein frommes Bildungs- und Bibelwerk und ließ Bibeln für jedermann drucken. Freiherr Carl Hildebrand von Canstein fiel damit völlig aus dem Rahmen des Prunks und Protzes seiner barocken Zeit. Der Brandenburger Adelige wollte nicht Teil der höfischen Gesellschaft sein. Er wollte auch nicht mehr bei seinem Adelstitel genannt werden, sondern er ist nur noch der Herr Canstein. Er war immer stiller Lenker im Hintergrund, stiller Finanzier. 1697 verfasste Canstein eine testamentarische Verfügung zur finanziellen Unterstützung der pietistischen Werke von Francke und Spener. Denn zuvor war er lebensgefährlich an der Roten Ruhr erkrankt und versprach, dass er bei Errettung sein künftiges Leben Gott widmen werde. Und so kam es.
Wie kann man preiswert Bibeln drucken? Gutenberg erfand zwar im 15. Jahrhundert den Buchdruck, der war aber so teuer, dass sich einfache Leute keine Bibel leisten konnten. Erst 200 Jahre später hat von Canstein das geändert, indem er von den beweglichen Lettern zu einem festen “Stehenden Satz” wechselte und damit nur einmal teures Blei in ausreichender Menge anschaffte. Dadurch, dass man Schablonen hatte, ohne sie jedes Mal wieder neu zu setzen, konnte man hohe Auflagen zu einem sehr geringen Preis drucken. So war es den Leuten möglich, für sechs Groschen eine ganze Bibel zu kaufen, das sind heute etwa drei Euro.
Bis zu Cansteins Tod wurden bereits ca. 100.000 Neue Testamente in 20 Auflagen und je 40.000 Haus- und Handbibeln in je acht Auflagen durch die neue Bibelanstalt verbreitet. Im gesamten 18. Jahrhundert erschienen hier fast zwei Millionen Vollbibeln in 380 Auflagen und über eine Million Neue Testamente. Bald waren zu den deutschen Bibeln auch Ausgaben in anderen Sprachen hinzugekommen. Auf Grund der hohen Wertschätzung der Bibel durch den Halleschen Pietismus, des guten Namens des Waisenhauses, des sensationell niedrigen Preises und vor allem der Textqualität war das Wirken der Bibelanstalt dermaßen erfolgreich, dass die Bibel nun zu einem wirklichen „Volksbuch“ wurde.
Um Gottes Fußstapffen in der Geschichte und auch im eigenen Leben zu entdecken, lohnt es sich, die Bibel wieder zur Hand zu nehmen und darin zu lesen. Viel Freude dabei!
Einen gesegneten Sonntag und eine gute neue Woche wünscht Ihnen
Ihr Friedrich Kramer,
Erster Domprediger und Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
|