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19. Jahrhundert:
Napoléons »Königreich Westphalen« und Friedrich Wilhelms »Preußisches Königreich«

Es kam das Jahr 1806, das Ende des Heiligen Römischen Reiches nach 844 Jahren seiner Existenz: Napoléon Bonaparte eroberte das Reich. Im November 1806 wurde das Herzogtum Magdeburg, die weltliche Fortsetzung des Erzbistums Magdeburg seit 1680, dem neu gegründeten »Königreich Westphalen« unter der Regierung seines Bruders Jérôme Bonaparte angeschlossen und damit aufgelöst, im November 1810 folgte die Auflösung des Magdeburger Domkapitels.

Aller kirchlicher Besitz wurde Eigentum des westphälischen Staates. Der Dom mutierte zum Warenlager, Waffenlager und Viehstall für Napoléons Truppen. Allein im Hohen Chor durften weiter Gottesdienste abgehalten werden. Nur der Rückeroberung dieses Gebiets durch preußische und russische Truppen im Mai 1814 war es zu verdanken, dass der Dom nicht vollständig verfiel. Dennoch beschrieben ihn die Quellen dieser Zeit mehr und mehr als baufällig.

Als Glücksfall erwies sich dann der Besuch des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. im September 1825. Als dieser den Dom besuchte und seinen beklagenswerten Zustand sah, bewilligte er spontan 60.000 Reichstaler aus seiner Privatschatulle für dessen Wiederherstellung. Die bis dahin nicht finanzierbare, durch eine bereits vorliegende Kostenschätzung auf 204.000 Reichstaler veranschlagte Restaurierung konnte nun in Auftrag gegeben werden. Ihre konkrete Durchführung gestaltete der berühmte preußische Architekt Karl Friedrich Schinkel; ihm verdankt der Dom sein heutiges Aussehen, vor allem seine konsequente Steinsichtigkeit, nachdem Schinkel alle mittelalterliche Farbe, die an den Wänden verblieben, aber sicherlich an vielen Stellen unansehnlich geworden oder abgeplatzt war, hatte abwaschen lassen. Bis 1834 dauerte diese gewissenhafte und auch nach heutigen Gesichtspunkten beachtenswerte Restaurierung; sie ermöglichte das Überleben manch wertvoller, aber stark beschädigter Innenausstattung des Domes, insbesondere der Sandsteinskulpturen, des Lettners und der Epitaphien.

Mit der Befreiung 1814 war der Dom preußische Garnisonskirche geworden, es entstand eine Militärgemeinde. Das Amt des Ersten Dompredigers war verknüpft worden mit dem des Generalsuperintendenten. 1826 wurde dieses Amt umbenannt in das des evangelischen Bischofs, wodurch der Dom zur Bischofskirche der Kirchenprovinz Sachsen wurde.

19./20. Jahrhundert: Vom Kaiserreich bis zum Dritten Reich
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts bildete sich neben der Militärgemeinde allmählich eine zunächst kleine Territorialgemeinde um den Dom, die nach der Gründung des deutschen Kaiserreiches 1871 stark anwuchs, als die Befestigungsanlagen südlich des Domes beseitigt wurden und ein neues großes Stadtviertel vom Schleinufer bis zum Hasselbachplatz entstand. Mit über 20.000 Mitgliedern und vier Pfarrstellen wuchs die Domgemeinde im frühen 20. Jahrhundert zur größten Innenstadtgemeinde heran, und noch immer wurde der Dom simultan von der Zivil- und der Militärgemeinde genutzt. Finanzkräftige Mitglieder hatten schon 1856 dafür gesorgt, dass der Dom eine zeigemäße und vor allem dem Raum angemessene Orgel erhielt; erbaut worden war das 81-Register-Werk, das kurz darauf auf 88 Register erweitert wurde, vom Orgelbaumeister Adolf Reubke aus Hausneindorf bei Quedlinburg. Dieses Werk wurde 1906 dank des Engagements weiterer potenter Domgemeinde-Mitglieder noch übertroffen durch das 100-Register-Werk des damals international gerühmten Orgelbaumeister Ernst Röver, der Reubkes Werkstätte in Hausneindorf übernommen hatte. In den Jahren zwischen 1890 und 1910 waren auch alle 73 Fenster des Domes noch einmal komplett farbig verglast worden; mehrere kunsthistorisch bedeutsame Bilderzyklen waren dabei im Stil des späten 19. Jahrhunderts entstanden. Als letztes markantes Kunstwerk schuf in den Jahren 1926 bis 1929 der berühmte Holzbildhauer Ernst Barlach sein »Magdeburger Mal« im Gedenken an die Opfer des Ersten Weltkriegs. Es erlebte eine wechselvolle Geschichte, war seit 1936 als »entartete Kunst« magaziniert worden, überstand aber durch das beherzte Eingreifen von Barlach-Freunden unbeschadet die nationalsozialistische Ära.

Der letzte schwere Einbruch in die Bausubstanz des Domes erfolgte im Zweiten Weltkrieg. Erste Wunden brachte der Bombenangriff vom 12. September 1944 mit sich: einer einzelnen Sprengbombe ins Südseitenschiff fielen Epitaphien, alle Farbfenster des Domes sowie die gesamte hölzerne Bestuhlung mit Ausnahme des Chorgestühls zum Opfer. Am 16. Januar 1945, an dem die Magdeburger Altstadt insgesamt zu 92% zerstört wurde, erlitt auch der Dom seine schwersten Schäden in Form von mehreren Sprengbomben-Treffern in die Seitenschiffe. Am 2. März 1945 setzten alliierte Bomber noch einen einzelnen gezielten Treffer ab, der die Westfassade durchschlug und die große Orgel zerstörte. Einzig die östlichen Partien mit Chor, Chorumgang und Chorempore blieben gänzlich verschont.

Der Domgemeinde blieb ab da für ihre Gottesdienste als einziges der unbeschädigt gebliebene »Remter«, der zweischiffige ehemalige Kapitelsaal des Domkapitels aus dem 14. Jahrhundert mit der angrenzenden Marienkapelle, östlich angebaut an den Kreuzgang-Ostflügel. Er war für Jahre der einzige benutzbare Kirchenraum der Magdeburger Innenstadt.