Titelblatt der Ausgabe von Loersfeld: „Eyn Enchiridion oder Handbüchlein. eynem ytzlichen
Christen fast nutzlich bey sich zuhaben / zur stetter vbung vnd trachtung geystlicher gesenge
vnd Psalmen / Rechtschaffen vnd kunstlich verteutscht“. Erfurt 1524 | gemeinfrei
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Landesbischof Friedrich Kramer
Wortbrücke zum 10. Sonntag nach Trinitatis (04.08.2024)
Ohne Lieder hätten sich die reformatorischen Gedanken nicht so schnell und nachhaltigunter
den Leuten verbreiten lassen und manche konfessionelle Ausprägung und damit die Vielfalt
unserer Gottesdienste würde es ohne Lieder und Musik nicht geben.
Glücklicherweise war Martin Luther sehr musikalisch. Er hat sogar überlegt, ob er Musiker
statt Theologe werden sollte. Als in Brüssel 1523 die ersten Märtyrer verbrannt wurden, die
Luthers Lehre anhingen, hat ihn das sehr erschrocken. Er hat dann das Lied gedichtet „Nun
freut euch liebe Christen g’mein und lasst uns fröhlich springen“, vor allem wohl auch, um
sich selbst Mut zu machen. Überall wurde es gesungen und sogar auf Flugblätter gedruckt.
Sein Verfasser entdeckte, welche enorme Wirkung ein Lied entfalten kann. Luther machte sich
sofort daran, altlateinische Hymnen mit deutschen Texten zu versehen.
Er fasste Lieder und Gebete des Ersten Testaments der Bibel, den Psalmen, in Reime und
interpretierte sie. Außerdem komponierte er neue Lieder mit zentralen reformatorischen
Glaubensaussagen. Martin Luther hatte auch keine Hemmungen, allseits bekannte und
erfolgreiche Lieder selbst zu interpretieren – Lieder, die die Menschen im Wirtshaus oder auf
der Straße sangen. Er schaute, wie wir wissen, dem Volk aufs Maul. Neudeutsch würde man
von „covern“ sprechen, wissenschaftlich von Kontrafaktur. Er schaffte ein neues Lied, indem er
bestimmte Formbestandteile des alten beibehielt.
Zu diesen „Cover-Liedern“ gehört auch „Vom Himmel hoch, da komm‘ ich her“. Es hieß
anfangs „Aus fremden Landen komm’ ich her und verkündige euch jetzt neue Mär“,
verbreitete also neue Nachrichten. Ein Bänkelsängerlied, also ein weltlicher Gesang. Luther
schuf Ohrwürmer, eingängige Melodien und leicht zu merkende Verse – die ideale
Kombination in einer Zeit, in der die meisten Menschen weder Noten noch Schrift lesen
konnten.
Bereits 1524 erschienen die ersten Liederbücher. Einzelne Lieddrucke wurden im
Achtliederbuch in Nürnberg zusammengefasst. Das Erfurter Enchiridion sammelte den
kleinen, auswendig gesungenen lutherischen Liederstamm. Daran und an „500 Jahre
evangelisches Gesangbuch“ erinnern wir auch in unserer Landeskirche. Schauen Sie doch mal
unter www.fides-cantat.de oder auch auf der EKD-Seite www.mit-herz-und-mund.de. Und am
Reformationstag sind Sie zum Enchiridion-Geburtstagsfest nach Erfurt in die Augustinerkirche
eingeladen. Oder singen Sie einfach: im Gottesdienst, in der Kantorei, unter der Dusche oder
einfach so.
Einen gesegneten Sonntag und eine klingende neue Woche wünscht Ihnen
Ihr Friedrich Kramer, Erster Domprediger und Landesbischof
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